Astronomische Arbeitsgemeinschaft
Lagrange, Lucy und Polymele
Eindrücke von einer Expedition zur Sternbedeckung durch Polymele
Im 18. Jahrhundert fanden Leonhard Euler und Joseph Luis Lagrange eine eingeschränkte Lösung des Dreikörperproblems der Himmelsmechanik: Es gibt 5 Punkte, in denen ein Himmelskörper mit vernachlässigbarer Masse kräftefrei ruhen kann. Heute nennen wir diese Punkte die Lagrange- oder Librationspunkte L1 bis L5.
Am 22. Februar 1906 entdeckte Max Wolf einen Kleinplaneten nahe des Lagrangepunktes L4 auf der Jupiterbahn, dem Jupiter also ca. 60° auf seiner Bahn vorauseilend. Der Planet wurde nach einem Helden des trojanischen Krieges (588) Achilles genannt. Am 17. Oktober 1906 entdeckte August Kopff ebenfalls einen Kleinplaneten in einem Lagrange-Punkt der Jupiterbahn, jedoch dem Jupiter folgend. Dieser Himmelskörper steht nahe dem Lagrangepunkt L5 und wurde (617) Patroklus genannt. Nach weiteren Entdeckungen von Himmelskörpern in den Gebieten um L4 und L5 entschlossen sich die Astronomen, die Planeten um L4 nach den griechischen Helden des trojanischen Krieges zu nennen, die in der L5 Position jedoch nach den Verteidigern Trojas. Damit sind die “Griechen” und die “Trojaner” für immer getrennt und es herrscht Frieden. Der bereits benannte Patroklus gehört aber in das Lager der Griechen. Zum Ausgleich wurde der Heerführer der Trojaner, Hektor, im Lager der Griechen positioniert. So haben beide Gruppen jeweils einen Spion unter sich. Heute nennen wir in der Literatur oft alle diese in den Lagrange Punkten laufenden Himmelskörper Trojaner und sprechen auch von Trojanern in anderen Orbits, z.B. in der Neptunbahn.
Die Trojaner des Jupiters gelten als sehr alte Himmelskörper, die uns Aufschluss über die Entstehung und Geschichte des Jupiters geben. Sie sind Fossile der Jupitergeschichte. Ein bekanntes Fossil aus der Entwicklungsgeschichte der Menschheit sind die Reste des Skelettes Lucy. Deshalb erhielt die erste Raumsonde zur Erkundung der Trojaner ebenfalls den Namen Lucy. Für diese bereits gestartete Mission benötigt man genaue Informationen über Bahn und Größe der zu erforschenden Trojaner. Einer dieser Himmelskörper ist der 1998 entdeckte Kleinplanet (15094) Polymele. Polymele war die Mutter des Patroklos und gehört damit in das Lager der Griechen.
Die Größe der zu untersuchenden Kleinplaneten, eventuell vorhandene Ringe oder Monde und ihre genaue Position kann man von der Erde aus bei Sternbedeckungen dieser Himmelskörper untersuchen. Die Berechnung der möglichen Bedeckungen, die Expeditionsplanung und die Expeditionsdurchführung für die Mission Lucy hat das Southwest Research Institute (SwRI) übernommen.
Am Morgen des 01.10.2021 bedeckte Polymele den Stern 4UC 567-010317, der eine Helligkeit von 15.57mag besitzt. Da sich im Laufe der Planung und der „last minute prediction“ zwei unterschiedliche Vorhersagen für die Bedeckungszone ergaben, waren zwei Expeditionsteams in den Vorhersagegebieten in Spanien aktiv: Die aus den USA angereiste Gruppe des SwRI und die Expedition des Instituto De Astrofísica De Andalucía (IAA).
Team des IAA bei Vorbereitungen, Mitte: José Luis Ortiz. Foto: Konrad Guhl
Zwei Beobachter aus Deutschland (Bernd Gährken und Konrad Guhl) hatten beschlossen, das Beobachterteam des IAA zu verstärken. Die Gruppe des IAA wählte als Quartier ein Ferienhaus in Almenar de Soria in der von José Luis Ortiz vorausberechneten Zone. Konrad Guhl startete am Morgen des 28. September mit dem IOTA/ES-Expeditionsteleskop M2 an Bord per Auto nahe Berlin. Am Nachmittag des 29. September stieß Bernd Gährken via Flughafen Toulouse dazu und nach einer Zwischenübernachtung in den Pyrenäen trafen die beiden Beobachter am 30. September im Quartier des Teams Ortiz ein.
Bernd Gährken und Mike Kretlow (IAA) wurden aus dem Fundus der mobilen Geräte mit einem 14"-Teleskop ausgerüstet und bildeten ein Team. Zwischenzeitlich hatte sich die Wettersituation für die Positionen des Teams des SwRI verschlechtert. Beide Teams standen in engem Informationsaustausch und so wurde im Team des IAA entschieden, drei Stationen dieses Teams weiter südlich in der Vorhersagezone des SwRI zu positionieren. Ausgewählt wurden Bernd Gährken und Mike Kretlow mit dem 14"-Teleskop, Konrad Guhl mit dem 20"-Teleskop M2 und M. Pugnaire und M. Gil mit einem 12"-Skywatcher Dobson. Die nun zu besetzenden Stationen waren nahe der Stadt Sigüenza.
IOTA/ES-Expeditionsteleskop M2 während der Beobachtungsnacht. Foto: Konrad Guhl
Die Berechnung von José Luis Ortiz erwies sich als zutreffend und die ausgesandten Beobachter waren zwar erfolglos, haben jedoch alle Beobachtungen exakt ausführen können. Nahe der vom IAA vorherberechneten Zone gab es mehrere positive Beobachtungen, die unser Wissen über Polymele erweitern.
Konrad Guhl
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